Nachruf Mario Mariotti

mariotti 2Erinnerungen an Mario Mariotti

Mario Mariotti, ehemaliger Nationalspieler und Swaythling Club-Mitglied, ist mit 78 Jahren in Morges friedlich eingeschlafen. Swiss Table Tennis spricht den Hinterbliebenen herzliches Beileid aus. Mario Mariotti hat zu Lebzeiten viel für den Schweizer Tischtennissport gemacht, und hat sich auch nach seinem Karriereende für den Sport engagiert.

Text: Anton Lehmann / Fotos: zvg

 

Anton Lehmann hat sich mit Weggefährten von Mario unterhalten und würdigt diesen mit den folgenden Zeilen:

 

Im Gespräch mit Marcel Grimm – Rivale und Freund von Mariotti

 

Erste Erinnerungen an Mario – Film ab…

Da ist beispielsweise die Erinnerung an die erste Begegnung: Im Vergleich mit Mario Mariotti und Guy Baer (Baer war 1963 Schweizermeister im Herreneinzel ) war ich ein Spätzünder, ein Nobody. Etwa mit 14 Jahren konnte ich mich erstmals für ein von Alex Ehrlich (Ehrlich war französisch-polnischer Erfolgstrainer, der damals jährlich ein Trainingslager in Mürren durchführte) geleitetes Trainingslager in Mürren qualifizieren. Mario, ein Jahr älter als ich, war damals schon Klassenprimus. Sein Niveau war deutlich höher als meines. Deshalb war es für mich eine Ehre, in Mürren mit ihm trainieren zu können.

 

Dann sehe ich seine Spielweise, die mich zu Beginn seiner Karriere beeindruckte und die ich irgendwie kopieren wollte. Mit seinem Spiel strahlte er Ruhe und Sicherheit aus; er war in seiner Altersklasse klar führend. Später, als ich langsam zu seinem Rivalen wurde, löste ich mich vom Vorbild und entwickelte mein eigenes Spiel.

 

Vor meinem Auge erscheinen auch zahlreiche gemeinsame Autofahrten. Mario sass jeweils am Steuer, wenn wir zusammen an internationale Turniere, Meisterschaften und an Länderspiele fuhren. Wir nutzten die Gelegenheit, um uns auszutauschen, manchmal auch über rein tt-spezifische Fragen hinaus.  

 

Was für ein Mensch war Mario?

Bei ihm machte sich schon früh eine ausgeprägte Selbstsicherheit bemerkbar. Er wusste, was er wollte und stellte immer seinen Mann, auch wenn es Probleme zu lösen galt oder Hürden zu überwinden waren. Speziell in solchen Situationen zeichnete er sich durch seine Ruhe und Freundlichkeit aus, was meist viel zur Problemlösung beitrug. Im Umgang mit ihm fühlte ich mich wohl. Auch im Wettkampf verhielt er sich immer „impeccable“ – nie fiel er durch unsportliches Verhalten oder durch unverhältnismässige Gefühlsausbrüche auf, was ihn nicht zuletzt zum nervenstarken Vollstrecker machte, beispielsweise bei knappem Endstand.

 

Stichwort Ausländische Herkunft – Welche Konsequenzen hatte diese auf seine Tischtennis-Karriere in der Schweiz?

Die Familie von Mario stammt aus San Marino. Er wuchs zweisprachig im Seeland auf. Offenbar stand für ihn nie zur Diskussion, die CH-Staatsbürgerschaft zu erwerben. Einige empfanden als ungerecht, dass Mario für die Schweiz an Welt- und Europameisterschaften Lorbeeren holte, an den Schweizer-meisterschaften jedoch nicht teilnehmen durfte. Er, der als Bieler, Fribourger und später als Genfer wahrgenommen wurde, blieb an den nationalen Titelkämpfen ausgeschlossen. Ich kann mich nicht erinnern, dass Mario sich dagegen aufgelehnt oder sogar reklamiert hätte. Erst 1971 wurde eine Regelanpassung vorgenommen, die Mario ermöglichte, doch noch Schweizermeister zu werden. Ich erinnere mich an unser denkwürdiges Finalspiel von 1971 in Basel, das ich gegen ihn verlor, obwohl ich Mario zu gleicher Zeit an nationalen Turnieren zweimal bezwungen hatte. 1976 konnte er sich nochmals auf nationaler Ebene durchsetzen, und zwar ganz knapp gegen meinen Berner Kollegen Bernard Chatton.

 

Stichwort Tischtennis-Legende Mariotti

Er war auf hohem  Niveau ein sehr sicherer Spieler. Seine technisch-taktischen Elemente änderte er im Verlauf seiner Karriere nie, vielleicht wurde er mit zunehmendem Alter etwas defensiver. Mariotti setzte auf seinen ultraschnellen, unorthodoxen Forehand-Angriff und  auf sein schnörkelloses Aufschlag- und Rückschlagspiel. Auch als Topspin- und Materialspieler sich durchzusetzen begannen, hielt er mit seinem Spiel dagegen. Insgesamt war er auf europäischer Ebene der erfolgreichste Schweizer Spieler, er konnte sogar mit Topathleten wie dem Schweden Alser und dem Deutschen Schöler mithalten.

 

Stichwort  „TT-Platzhirsche“ Mariotti und Grimm

Nachdem ich den spielerischen Rückstand aufgeholt hatte und ihm die Stirne bieten konnte, war unser Verhältnis in der Folge mehr durch Zusammenarbeit und Freundschaft als durch Rivalität geprägt. Eigentlich entwickelte sich eine ideale Balance von miteinander und gegeneinander. Lange Zeit koordinierten wir unsere Trainings und nahmen dabei auch längere Wegstrecken in Kauf, weil wir in verschiedenen Städten wohnten. Insofern waren wir aufeinander angewiesen, brachten uns gegenseitig weiter, auch weil wir verschiedene Spielsysteme pflegten. Im Wettkampf schenkten wir uns allerdings nichts. Jeder wollte gewinnen, beide konnten aber auch Niederlagen ohne zu Murren akzeptieren. An nationalen Turnieren und Mannschaftswettkämpfen waren wir in etwa gleichauf, im internationalen Vergleich war er, wie bereits ausgeführt, etwas stärker als ich.

 

Welche Stationen durchlief er als Vereins-Spieler?

Sein Début erfolgte in Biel, zusammen mit Guy Baer. Dann gab er ein kurzes Gastspiel bei Elite Bern,  anschliessend spielte er bei Fribourg, wo er erstmals Mannschaftsmeister wurde. Dann fällt es mir gerade schwer, seinen Werdegang  als Spieler präzis zu rekonstruieren. Nach einem Unterbruch war er dann, nach meinem Rücktritt von 1973, für viele Jahre bei Silver Star Genf tätig. Mit diesem Club wurde er, bereits über 40-jährig, 1981/82 und 1983/84, noch zweimal Schweizer Mannschafts-meister. Zusammen übrigens mit einem gewissen Thierry  Miller, der von Mario viel profitieren konnte.

 

Wie engagierte er sich für den Tischtennissport insgesamt?

 Mario  tat sich bereits in jungen Jahren als Turnier-Organisator hervor, beispielsweise mit einem präzisen Zeitplansystem, das damals, vor dem PC-Zeitalter, ein Novum war. Dann war er mit 26 Jahren für kurze Zeit Nationaltrainer. Später präsidierte er einige Jahre den erfolgreichen Genfer Club Silver Star sowie den Genfer Regionalverband. Seine Stimme an Vereins- und Verbandsanlässen wurde gehört und hatte immer Gewicht.

 

Zum Schluss zwei Anekdoten:

Das Herrendoppel war nicht unser bevorzugtes Element. Trotzdem taten wir uns am Burgdorfer-Turnier für einmal zusammen. Mariotti-Grimm, wer wollte da schon entgegenhalten?! Das dachten auch unsere Familienangehörigen, die vor Ort waren und für uns bereits den Gabentempel inspizierten und den Hauptpreis auswählten. Lange Gesichter allseits, als wir schon vor dem Final untergingen und den Weg zum Podium gar nicht erst beschreiten konnten…

 

Als zweite Anekdote denke ich an den Europacup Mitte der 60er Jahre in Sofia /Bulgarien: Fribourg, damaliger CH-Mannschafts-meister, fehlte ein guter dritter Spieler. Nach einigem hin und her willigte ich ein, als Verstärkung einzuspringen. Das Dreierteam Mariotti, Steckler (André Steckler, CH-Meister im Einzel von 1966) und Grimm sowie Präsident Marcel Schaller (Schaller, damaliger Club-Manager und Präsident von CTT Fribourg) fuhren mit dem firmeneigenen Auto von Gilbert Fachinetti (Mariotti arbeitete damals in der Firma von Fachinetti, dem langjährigen Präsidenten und Hauptsponsoren des Fussballclubs Xamax-Neuchâtel)  nach Bulgarien. Mariotti amtete wie immer als Fahrer. Sowohl auf dem Hin- wie auf dem Rückweg waren Freundschaftsspiele sowie Gratisunterkunft und -verpflegung organisiert, z.B. in Ljubljana (heute Slowenien) und Zagreb (heute Kroatien), wo wir je einen Zwischenhalt einschalteten. Die einwöchige Reise bleibt mir in bester Erinnerung, auch wenn in Sofia nur gerade Mario ein Spiel gewann.

 

Erinnerungen  von WeggefährtInnen

 

Thomas Sadecky:

„Mario verkörperte für mich die Leichtigkeit des Seins. Stets gut gelaunt, witzig, manchmal leicht ironisch. Er besass eine Aura – man fühlte sich in seiner Gesellschaft wohl. Unangenehm war er nur als Gegner an der TT- Platte. Er hatte nicht nur eine unglaubliche Hand, ihn sah man praktisch nie schwitzen. Ein Grosser ist von uns gegangen. Adieu Mario!“

 

Theresia Földy:

„Damals, als Mario und ich ziemlich erfolgreich Mixed-Doppel miteinander spielten, fragte uns ein Reporter erstaunt, wie wir das mit dem Vorbereitungstraining gemacht hätten. Ihm war bekannt, dass Mario in Genf wohnte und ich in Basel. Mario verwies dann auf die sich bereits abzeichnende Schwangerschaft bei mir und  meinte spitzbübisch: wir spielten eben 3 gegen 2, dieser Bonus sei ausschlaggebend gewesen…“

 

Vreni Lorenzini-Lehmann:

„Um Mario herum war es nie langweilig; er war ein lustiger, humorvoller Typ, der die Leute spielend unterhalten konnte. Manchmal war er sogar eine echte Stimmungskanone: z.B. bei jener Szene in Moskau, als er scheinbar perfekt Russisch sprach bzw. imitierte; in Tat und Wahrheit sprach er kein Wort Russisch…“

 

Thomas Busin

„Es macht mich traurig vom Tod von Mario Kenntnis nehmen zu müssen. Noch sehr frisch sind meine Erinnerungen anlässlich des vorletzten Meetings des Swaythling-Clubs Schweiz in Ostermundigen. Wenngleich Mario von den Operationen schon sehr gezeichnet war, war er immer noch der Gentleman, der Monsieur mit seinem besonderen Charme und immer mit sehr viel Stil. Ganz so wie er sich immer auch an der Tischtennisplatte verhalten hat. Wir verlieren eine ganz besondere Persönlichkeit und dürfen stolz sein, ihn gekannt zu haben.“

 

Thierry Miller

„Als ich mit Tischtennis anfing, warst Du bereits eine Legende. Du hast mich ermutigt und begleitet. Später haben wir zusammen Medaillen im Herrendoppel an den Schweizermeisterschaften geholt. Du hast mir den Weg zum Erfolg gezeigt. Dann hast Du mir die Rolle des Spielführers übergeben, um gemeinsam, nach einer unvergesslichen NLA-Saison, den CH-Titel 1983/84 gegen Wettstein Basel zu erobern. Anschliessend trennten sich unsere Wege, Du in Genf im Immobiliengeschäft, ich als professioneller Tischtennisspieler im Ausland. Es herrschte bis vor kurzem immer grosse Freude, wenn wir uns gelegentlich wiedersahen. Ist es wirklich ein Zufall, dass Dein Sohn Nicolas wie ich nunmehr in Bulle lebt? Wir werden Dich vermissen, das Schweizer Tischtennis hat eine Legende und wir haben einen Freund, einen großen Gentleman verloren – danke für alles, Mario, meine Gedanken sind bei Deiner Familie.“ 

 

Michèle Stirn

„Als Nachfolger von Hugo Urchetti übernahm Mario 2004 die Präsidentschaft des Silver-Star CTT, dessen Sekretärin ich war. Die Zusammenarbeit mit ihm war immer ein grosses Vergnügen, nicht zuletzt weil wir die gleiche Vorstellung betreffend zuverlässiger Arbeit hatten. Jede Sitzung beendeten wir in einem Feinschmecker-Lokal. Dabei stellte Mario von Beginn an unmissverständlich klar, dass er einen Zahlungsversuch meinerseits niemals akzeptieren würde.“      

 

Erwin Heri

„… ein Gentleman und „Sportsman“ durch und durch, immer und in jeder Beziehung. Wir verlieren einen lieben Freund. … wenn nur diese unnachgiebige und unvoraussehbare Forehand nicht gewesen wäre…!“

 

Martin Hafen

„Ich habe Mario Mariotti bewundert – nicht nur wegen seiner eleganten Art, Tischtennis zu spielen, sondern auch wegen seines ebenso eleganten und freundlichen Auftretens gegenüber jungen Spielern wie mir, aber auch wegen seiner zielbewussten und strategisch geschickten Argumentation gewissen Funktionären gegenüber.“

 

Anton Lehmann

„Apropos Effizienz von Mario Mariottis Forehand: Als damaliger Western-Liebhaber verglich ich ihn gerne mit bekannten Filmstars. Mario zog seine Forehand jedoch schneller als jeder Revolverheld seinen Colt, dabei wirkte er mindestens ebenso cool wie Lee Van Cleef oder Gary Cooper.“