Zufriedenheit statt Geld

Interview mit Daria Lehmann

Daria LehmannDaria Lehmann, Geografiestudentin im fünften Semester, absolvierte ein Praktikum zum Thema der Freiwilligenarbeit bei Swiss Table Tennis. Im Interview erklärt sie, warum sich Personen im Tischtennis freiwillig engagieren und was das Ganze mit Nachhaltiger Entwicklung zu tun hat.

 

 

Interview: Annina Häusli, Foto: Corinne Lehmann

 

Du studierst im dritten Jahr Geografie an der Universität Bern. Das für den Bachelor notwendige Praktikum und die Praktikumsarbeit hast du bei Swiss Table Tennis absolviert und geschrieben. Wie passen Studium und das Praktikum bei STT zusammen?

Ich studiere im Nebenfach Nachhaltige Entwicklung, was ein sehr breites Themenfeld ist. Nachhaltige Entwicklung hat ebenso mit gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Fragen zu tun, wie mit der Umwelt. Ich habe in meinem Praktikum einen Schwerpunkt auf die Gesellschafts-Dimension gesetzt, in dem ich mich mit der Freiwilligenarbeit beschäftigt habe, und dazu schien mir der Schweizerische Tischtennisverband gut geeignet – unter anderem, weil ich den Verband bereits von Seiten der Spielenden sowie von der Geschäftsstelle aus kannte.

 

Das Oberthema deines Praktikums war nachhaltige Entwicklung. Was bedeutet dies im Allgemeinen und im Speziellen in Bezug auf Sportverbände? Kannst du da ein konkretes Beispiel nennen?

Nachhaltige Entwicklung ist eigentlich eine Vision. Es geht darum, dass nicht nur wir heute, sondern auch alle zukünftigen Generationen ihre Bedürfnisse erfüllen können. Damit das möglich ist, müssen wir heute unseren Lebensstil daran anpassen – das heisst, dass wir zum Beispiel nur so viele Ressourcen verbrauchen sollten, wie auch neue wieder „nachwachsen“ können. Ziel einer Nachhaltigen Entwicklung ist es sozusagen, eine Art zu leben zu finden, mit welcher wir heute glücklich sein können, welche das Gleiche aber auch unseren Kindern und den Kindern ihrer Kinder usw. ermöglicht.

 

Die Bedürfnisse der Menschen gehen dabei weiter, als „nur“ genügend Ressourcen zur Verfügung zu haben, so sind beispielsweise auch Selbstverwirklichung, Gesundheit und ein soziales Umfeld wichtige Bedürfnisse. Hierbei können Sportverbände einen wesentlichen Beitrag leisten, indem sie zum Beispiel einen Ort für das Knüpfen von Kontakten bilden – oder auch direkt durch die Förderung der Gesundheit der Mitglieder, weil sich diese sportlich betätigen.

 

In meiner Praktikumsarbeit wollte ich aber herausfinden, ob Freiwilligenarbeit – welche ja in Sportvereinen sehr verbreitet ist – auch einen positiven Einfluss auf eine Nachhaltige Entwicklung haben kann. Dabei kam heraus, dass gerade das Feld der Freiwilligenarbeit für viele ein Ort ist, an welchem sie sich selbst verwirklichen können oder beispielsweise Bedürfnisse erfüllen können, welche sie an ihrem Arbeitsort hinten anstellen müssen.

 

Freiwilliges Engagement als Trainer - Ausschnitt aus dem Film von Daria LehmannDu hast dich im Rahmen des Praktikums mit der Freiwilligenarbeit auseinandergesetzt. Was motiviert Menschen dazu, sich freiwillig zu engagieren?

Grundsätzlich gibt es sehr viele verschiedene Motivationen. Für die einen ist es die Angst, nach der Pensionierung nichts mehr zu tun zu haben, deswegen engagieren sie sich freiwillig. Andere tun es, um ihre beruflichen Perspektiven zu erweitern, wieder andere sind da „nur so reingerutscht“ und haben dann gemerkt, dass es ihnen Spass macht.

 

In Sportvereinen stehen die häufigsten Motivationen im Zusammenhang mit Geselligkeit und Spass. In den Interviews, welche ich während meiner Praktikumsarbeit geführt habe, wurde die Aussage „Ich kann lernen, mit verschiedensten Leuten umzugehen“ von insgesamt 35 Beispielaussagen am häufigsten unter die fünf wichtigsten gewählt.

 

Ein Sprichwort besagt, dass Geld die Welt regiert. Oder anders gesagt, heute macht doch niemand mehr etwas freiwillig, ohne dass er dafür eine Gegenleistung erhält. Was sagst du zu dieser Behauptung?

Diese Behauptung stimmt nicht – jedenfalls nicht so krass formuliert. Natürlich gibt es Personen, die „dem Geld nachrennen“. Allerdings war dies bestimmt auch schon früher so, und ich denke persönlich nicht, dass das heute „viel schlimmer“ geworden ist.

 

Was aber meiner Meinung nach stimmt, ist, dass niemand etwas ohne eine Gegenleistung macht (das ist, denke ich, evolutionär sehr sinnvoll) – der Punkt ist hier aber, dass es verschiedene Arten von Gegenleistungen gibt, Geld ist nur eine davon, die eigene Zufriedenheit beispielsweise ist eine andere. Diejenigen, die sich freiwillig engagieren, haben gemerkt, dass ein Strahlen eines Kindes, wenn es zum ersten Mal den Vorhand-Konter auf den Tisch trifft, oder einfach nur ein gemütlicher Abend mit den Vereinskollegen viel mehr Wert sein können, als Geld.

 

Was aber klar ist: Freiwilligenarbeit beginnt ein bisschen da, wo die Existenzsorgen aufhören. Es ist ein Privileg, in einer Situation zu sein, in welcher man Zeit dafür hat, sich freiwillig zu engagieren und nicht alle Energie in die Sicherung der (finanziellen) Existenz stecken muss.

 

Eine Muslimin spielt an einem Tischtennisanlass für Flüchtlinge den Ball übers Netz Ausschnitt aus dem Film von Daria LehmannWo und wie kann man sich im Tischtennis freiwillig engagieren?

Dafür gibt es ganz verschiedene Möglichkeiten, und an viele denkt man vielleicht nicht unbedingt direkt. Wer sich beispielsweise in der Flüchtlingskrise engagieren möchte, könnte auch ein Tischtennistraining für Flüchtlinge organisieren; wer sich gerne mit Sprachen beschäftigt, könnte tischtennisbezogene Texte übersetzen; wem die Arbeit mit Kindern am Herzen liegt, kann ein Nachwuchstraining organisieren, in welchem der Spass im Vordergrund steht etc..

 

Generell gibt es bei STT die Möglichkeit, sich in Clubs (also im Vorstand), als Trainer, bei Events (Turnierorganisation, Speaker oder auch Helfer beim Buffet), in den Regionalverbänden oder in verschiedenen Kommissionen zu engagieren. Je nach Tätigkeit ist es dabei überhaupt nicht nötig, beispielsweise selbst gut Tischtennis spielen zu können oder genaue Kenntnisse in einem bestimmten Bereich zu haben – für jeden gibt es eine Möglichkeit, sich einzubringen, solange er/sie das möchte. Auf der Homepage von STT gibt es übrigens eine Tabelle, auf welcher die Einsatzfelder für Freiwillige im Tischtennis grob umrissen sind.

 

Was kann ein Tischtennisverein unternehmen, der Mühe hat, genügend Freiwillige zu finden?

Grundsätzlich hat sich in meiner Praktikumsarbeit hierzu herausgestellt, dass insbesondere eine gute Anerkennungskultur im Club und das direkte Anfragen von Personen, ob sie sich nicht freiwillig engagieren würden, sehr wichtige Punkte sind. Was auch helfen kann, ist, die Einsätze zeitlich flexibel oder begrenzt zu gestalten – so kann verhindert werden, dass Personen ein Engagement ablehnen, weil sie Angst vor einer zu langen oder zu umfassenden Verpflichtung haben. Zudem kann natürlich direkt über Freiwilligenarbeit informiert werden, beispielsweise an einem Clubanlass. Auf der Homepage von Swiss Table Tennis gibt es dazu noch ein Merkblatt mit weiterführenden Informationen.

 

Freiwilliges Engagement am Buffet - Ausschnitt aus dem Film von Daria LehmannJetzt wurde viel über die Freiwilligenarbeit gesagt/geschrieben – engagierst du dich auch in einem Verein? Wenn ja, als was und wieso?

Ja, ich engagiere mich freiwillig in einem Verein, aber momentan findet der grössere Teil meiner Freiwilligenarbeit ausserhalb des Tischtennis statt. Früher war ich mal im Vorstand, wofür mir dann aber irgendwann nebst dem anderen Engagement, dem Studium, der Arbeit bei STT und meinen Hobbies die Zeit fehlte. Jetzt begleite ich ab und zu Nachwuchsspieler an Turniere und coache sie. Oder ich unterstütze die Organisation eines Anlasses oder gestalte Flyer oder Poster für einen Tischtennisevent – für das wöchentliche Training, welches ich mit einem Freund gemeinsam leite, erhalte ich mittlerweile einen Lohn.

 

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